Summer of Resistance – Autumn of Repression
+++ English Below +++
Am 20. Juli diesen Jahres jährt sich der Tod Carlo Guilianis zum 20. Mal.
Zwischen dem 18. und dem 22. Juli 2001 fand in Genua (Italien) der 27. Gipfel der Mächtigsten dieser Welt statt.
Nachdem die Anti-Globalisierungsbewegung an Fahrt aufgenommen hat und es zu den ersten großen Protesten in Seattle 1999 kam und die Proteste in Göteborg im Frühsommer 2001 in militanten Großdemonstrationen mit internationaler Beteiligung mündeten, versammelten sich Hunderttausende Menschen aus der ganzen Welt in Genua. Bei den Demonstrationen gegen das Treffen der acht mächtigsten Staaten der Welt kam es zu zahlreichen Ausschreitungen. Die Bullen gingen mit aller Gewalt gegen Demonstrierende vor. Es gab Hunderte Verletzte, Verhaftungen und diverse Durchsuchungen. Am 20. Juli 2001 fanden die Anti-Globalisierungsproteste vorerst ihren traurigen Höhepunkt, als Carlo Giuliani während eines Riots von Bullen erschossen und überfahren wurde. Der erste Tote dieser Bewegung.
Die Proteste in Genua standen für ein Fanal an staatlicher Gewalt. Viele werden sich noch an hunderte Leichensäcke, die der damalige Präsident Berlusconi im Vorfeld bestellte, erinnern. Auch die Folterungen der Menschen, die in der Diaz-Schule festgenommen wurden, brannten sich in das kollektive Gedächtnis ein.
Aber auch die Gegengewalt der zehntausenden Demonstrant*innen, die sich in der Stadt gegen die Cops durchsetzen konnten, die Bilder flüchtender Bullen, brennender Barrikaden und von Tränengas durchzogene Straßen, sind Teil einer Geschichte, die bis heute die Bewegung der Gipfelproteste prägt.
Seither gab es noch viele Treffen der Mächtigen und auch wir haben diese zum Anlass genommen, auf den Straßen der Welt zusammen zu kommen und zusammen zu kämpfen.
Einige erinnern sich an den EU-Gipfel in Thessaloniki ( https://gipfelsoli.org/Home/Thessaloniki_2003/112.html) 2003 und den G8-Gipfel in Rostock-Heiligendamm 2007 und die viele Kraft, die wir aus diesen Protesten mitgenommen haben in unsere Städte und Provinzen, Squats und Infoläden, Klein- und Großgruppen.
Nachdem der Staat im Vorfeld des G8-Gipfels in Heiligendamm mehrere große Repressionskampagnen startete, um die Proteste im Vorfeld zu torpedieren, folgte eine große Solidaritätsbewegung, die letztlich auch einen großen Teil zur Mobilisierung zu den Protesten beitrug.
Die international mobilisierte Demonstration am 2. Juli 2007 in Rostock endete in stundenlangen Straßenschlachten rund um den Hafen. Auch in den folgenden Tagen hatten die Bullen massive Probleme, militante Auseinandersetzungen zu befrieden.
Gleichzeitig boten die Protestcamps Raum, um internationale Beziehungen und Freundschaften zu knüpfen. All dies wurde begleitet durch informelle Bezugnahme in den diversen direkten Aktionen rund um den Gipfel fast überall in Europa.
Die Früchte der Selbstermächtigungen und Erfahrungen aus diesen Tagen förderten die laufenden und anschließenden Kampagnen in vielen Städten in der ganzen BRD. Die Bullen, die noch spührbar unter dem Eindruck der Auseinandersetzungen standen, waren kaum in der Lage offensive Spontandemonstrationen, illegale Konzerte, Hausbesetzungen und viele weitere Aktionen unter Kontrolle zu bringen. Von 2007 bis 2011 war ein steter Anstieg an selbstbewussten und präsenten Aktionen in vielen Städten Deutschlands wahrnehmbar.
Der Nato-Gipfel in Straßburg und der Klimagipfel in Kopenhagen 2009 waren erneut Treffpunkte der radikalen Bewegungen in Europa, die den gemeinsamen Kampf gegen einen weltweiten Feind fortsetzten und über einen lokalen Fokus hinaus auf eine breitere antinationale Begegnung blickten. In Berlin führten die Erfahrungen dieser Momente zu verschiedenen Versuchen im Kampf, wie den Squatting Days https://squatmeet09.wordpress.com/2009/06/02/call-out-days-of-action-2009/, der Sponti gegen SAP https://directactionde.blogspot.com/2008/06/we-stay-all-action-days.html und der Demo in Erinnerung an Carlo Guiliani zehn Jahre nach Genua.
Solche Begegnungen sind wichtig für die Bewegungen, sie fördern den Austausch, das Kennenlernen, die Diskurse und Ideen.
Gerade anhand dieser Proteste können wir unsere Stärke selbst wahrnehmen und die Herrschenden damit konfrontieren. Sie antworten mit Repression. Auch wenn dies erwartet wird, müssen wir es als eine Herausforderung verstehen, der wir uns stellen und mit der wir umgehen müssen. Sie prügeln, verhaften und morden. Sie durchsuchen und räumen unsere Häuser, überwachen Gefährt:innen, durchleuchten die Bewegungen und überziehen uns mit Verfahren.
Der G20-Gipfel in Hamburg reiht sich ein in die Liste der „Begegnungsstätten“ kollektiver Ermächtigung über die Gesetze und Regeln des kapitalistischen Staats. Im Gegensatz zur Repressionstaktik im Vorfeld des G8-Gipfels 2007, polarisierte der Staat diesmal kaum im Vorhinein. Im Anschluss jedoch rollte eine fast beispiellose Welle der polizeilichen Verfolgung über diverse Strukturen und Individuen, die an den Protesten in Hamburg partizipiert haben (sollen).
Trotz vieler Analysen, Texte, Broschüren und auch Aktionen im Nachgang, konnte die Schockstarre, die die Ermittlungen und die damit verbundenen Methoden der Bullen ausgelöst haben, nicht überwunden werden. Die Energie und Verbundenheit, die aus den Krawallen in Hamburg gewonnen werden konnte, verebbte recht schnell. Bis heute und sicher auch die nächsten Jahre haben viele Strukturen mit Verfahren und Ermittlungen zu kämpfen.
Das Treffen der G20 in Biarritz ein Jahr später folgte einer Vergleichsweisen geringen Mobilisierung und setzte wenig Akzente, auch weil die Behörden im Vorfeld eng zusammen gearbeitet haben, um Menschen an der Teilnahme zu hindern. Der Rache des deutschen Regierungsestablishment, die Bewegungsplattform linksunten.indymedia.org vom Netz zu nehmen, konnte kaum etwas entgegen gesetzt werden. Kurze Momente der Verteidigung und Bezugnahme wurden mit einer Solidaritätsdemo in Leipzig im Januar 2020 und einem Angriff auf das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig mit Brandsätzen geschaffen.
Wir glauben, dass die Erinnerungen an Carlo Guiliani Anlass zu wütendem Gedenken auch in Berlin sein sollte.
Gleichzeitig können die Momente der Selbstermächtigungen im Kontext stattgefundener Proteste nur ausgeweitet und verstärkt werden, wenn wir auch die Bezüge zwischen den unterschiedlichen Anlässen, der Repression und den aktuellen Kampffeldern weiter ausbauen.
Wie oben erwähnt, wurde schon 2011 zum 10. Jahrestag der Ermordung Carlos eine unangemeldete Demo organisiert, die in Auseinandersetzungen endete. (http://rachefuercarlo.blogsport.de/)
Unser Vorschlag ist daher eine Koordination von Aktionen und Veranstaltungen, die eingebettet in inhaltlicher Analyse sowohl auf die Repression von Bewegungsmomenten (Gipfelprotesten) als auch auf die offensiven Momente, die wir uns an diesen Stellen genommen haben, Bezug nehmen soll.
Die Prozesse in Bezug auf den Gipfel in Genua ziehen sich bis heute und auch die Repression nach dem G20-Gipfel in Hamburg wird uns noch lange begleiten. Doch statt dies so hinzunehmen und maximal zu reagieren, wollen wir Momente der Offensivität schaffen, uns auch jenseits großangelegter Events der Mächtigen auf den Straßen treffen und gemeinsam gegen das System und ihre Mörder stehen.
Ein gemeinsamer Protest kann nur dann einen nachhaltigen, offensiven Raum schaffen, wenn Kontexte und Bezüge hergestellt werden.
Kollektive Momente empowern uns, wenn wir aus unterschiedlichen Strukturen, Gruppen, etc. zusammen kommen.
Diese Momente muss es auch in Fällen von Repression geben. Wir müssen die staatlich vorgegebene Individualität aufheben und klar Stellung beziehen; uns gegenseitig vertrauen und in Fällen von Repression zusammenstehen. Das ist der Zeitpunkt, an dem und wo Solidarität Gestalt annimmt.
Wir wollen deshalb den Raum für alle öffnen, um gemeinsam zu diskutieren, wie wir erinnern und kämpfen können, um eine Kontinuität des Kampfes zu schaffen, in der Bezüge zwischen dem Tod von Carlo Guiliani und den Protesten anlässlich der Staatstreffen und der Repression geschaffen werden können.
Die Kampagnen, die vom Staat mithilfe von Bullen, Presse und Co gegen Organisationen, Strukturen und Individuen initiiert werden, müssen beantwortet werden, ohne sich immer im andauernden Selbstverteidigungskampf zu verlieren. Eigene Akzente und Momente zu schaffen, soll also unser Ziel sein.
They Tried to Bury Us, They Didn’t expect We Are Seeds
English:
Summer of Resistance – Autumn of Repression
July 20th of this year marks the 20th anniversary of the death of Carlo Guiliani.
Between the 18th and 22nd of July 2001, the 27th Summit of the world’s most powerful took place in Genoa, Italy.
After the anti-globalization movement gained momentum with the first major protests in Seattle in 1999 and the protests in Gothenburg in the early summer of 2001, resulting in many more militant large-scale demonstrations with international participation, hundreds of thousands of people from all over the world gathered in Genoa. The demonstrations against the summit of the eight most powerful countries in the world resulted in numerous riots. The cops used all force available to them against demonstrators. There were hundreds of injuries, arrests and various searches. On July 20th 2001, the anti-globalization protests reached their tragic culmination for the moment when Carlo Giuliani was shot and run over by cops during a riot; the first death of this movement.
The protests in Genoa represented a pinnacle of state violence. Many will remember hundreds of body bags ordered in advance by then President, Berlusconi. The torture of the people arrested in the Diaz school was also burned into the collective memory.
However the counter-violence of the tens of thousands of protesters who stood up to the cops in the city, the images of fleeing cops, burning barricades and streets riddled with tear gas, are part of a history that continues to shape the movement of summit protests to this day.
Since then, there have been many more meetings of the powerful, and we, too, have used them as an opportunity to come together on the streets of the world and fight together.
Some remember the EU summit in Thessaloniki ( https://gipfelsoli.org/Home/Thessaloniki_2003/112.html) in 2003 and the G8 summit in Rostock-Heiligendamm in 2007 and the strength we took from those protests to our cities and provinces, squats, infoshops and groups both small and large.
After the state launched several major repression campaigns to thwart the protests in the run-up to the G8 summit in Heiligendamm, a large solidarity movement followed, which ultimately also hugely contributed to the mobilization for the protests.
The internationally mobilized demonstration in Rostock on July 2nd, 2007, ended in street battles around the port that lasted for hours. Also in the following days the cops had massive problems pacifying militant clashes.
At the same time, the protest camps provided space to establish international relations and friendships. All this was accompanied by informal reference in the various direct actions around the summit almost everywhere in Europe.
The fruits of the self-empowerment and experiences from those days furthered the ongoing and subsequent campaigns in many cities across Germany. The cops, still tangibly affected by the clashes, were rarely able to bring offensive spontaneous demonstrations, illegal concerts, squats and many other actions under control. From 2007 to 2011, a steady increase in self-confident and present actions was perceptible in many cities in Germany.
The Nato-Summit in Strasbourg and the Climate summit in Copenhagen in 2009 were once again meeting points of the radical movements in Europe that continued the common struggle against a worldwide enemy, looking beyond a local focus to a broader antinational encounter. In Berlin the experiences of those moments led to various attempts at struggle, such as the squatting days (https://squatmeet09.wordpress.com/2009/06/02/call-out-days-of-action-2009/), the sponti against SAP (https://directactionde.blogspot.com/2008/06/we-stay-all-action-days.html) and the demo in rememberance of Carlo Guiliani ten years after Genoa.
Such encounters are important for the movements, as they promote exchange, encourage discourse and allow people to get to know each other and discuss ideas.
It is through these protests that we can perceive our own strength and confront the rulers. Their response is repression. Even though this is expected, we must still understand it as a challenge to face and to deal with. They beat, arrest and murder. They search and evict our houses, monitor comrades, investigate the movements and stifle us with trials.
The G20 summit in Hamburg joins the list of such „meeting places“; of places of collective empowerment against and over the laws and rules of the capitalist state. In contrast to the tactics of repression in the run-up to the G8 summit in 2007, this time the state hardly attempted to polarize society in advance. Subsequently however, an almost unprecedented wave of police persecution rolled over various structures and individuals who, allegedly, participated in the protests in Hamburg.
Despite many analyses, texts, brochures, and also actions in the aftermath, the severity of shock caused by the investigations and the associated methods of the cops could not be overcome. The energy and solidarity that could be gained from the riots in Hamburg dissipated relatively quickly. To this day, and certainly for the next few years, many structures are struggling with trials and investigations.
The G20 summit in Biarritz a year later followed a comparatively low level of mobilization and set few precedents, partly because the authorities worked closely together in advance to prevent people from participating. There was little to counter the German governing establishment’s act of revenge in the removing of the movement‘s platform linksunten.indymedia.org from the net. Brief moments of defense and reference were created with a solidarity demonstration in Leipzig in January 2020 and an attack on the Federal Administrative Court in Leipzig with incendiary devices.
We believe that the memories of Carlo Guiliani should be cause for angry remembrance in Berlin as well.
At the same time, the moments of self-empowerment in the context of protests that have taken place can only be expanded and strengthened if we also continue to expand the references between the different occasions, repression and current fields of struggle.
As mentioned above, in 2011, on the 10th anniversary of Carlo’s assassination, an unregistered demo was organized that ended in clashes. (http://rachefuercarlo.blogsport.de/)
Our proposal is therefore a coordination of actions and events, embedded in content analysis, referring both to the repression of moments of movement (summit protests) and to the offensive moments that we have taken at these points.
The trials in relation to the summit in Genoa drag on until today, and the repression after the G20 summit in Hamburg will accompany us for years to come. However instead of accepting this as it is and reacting to the best of our abilities, we want to create moments of offensiveness rather than only defensiveness, meet on the streets even beyond large-scale events of the powerful, and stay together against the system and their murderers.
A common protest can only create a sustainable, offensive space if contexts and references are established. Collective moments are empowering when diffrent groups and structures come together.
These moments must also exist in cases of repression. We have to erase the state given individuality and take a clear stand; to trust in each other and stand together in cases of repression. This is when and where solidarity takes shape.
We therefore want to open the space for everybody in order to discuss together how to remember and fight, in order to have a continuity of struggle, in which framework references between the death of Carlo Guiliani and the protests on the occasion of state meetings and repression can be created.
The campaigns initiated by the state with the help of cops, press and the like against organizations, structures and individuals must be answered, without always getting lost in the ongoing struggle of self-defense. To create own precedents and moments should be our goal.
They Tried to Bury Us, They Didn’t expect We Are Seeds